Test zur Hochsensibilität

Gütekriterien für Tests

 

Es gibt viele sogenannte Tests im Netz, die für sich beanspruchen, Hochsensibilität zu messen. Auch wenn das bestimmt einige nicht gerne hören: Diese Test bedienen das Bedürfnis nach Sicherheit, können aber, orientiert an wissenschaftlichen Maßstäben, nicht leisten, was sie versprechen. Wohlwollend gesagt, handelt es sich dabei um Fragenkataloge, von denen zumindest manche eine erste Indikation geben, ob der Beantworter hochsensibel ist. (Bei der Gelegenheit mein Dank und Respekt an allen Kolleg/innen, die das gleich von sich aus dazu schreiben). Bei manchen Angeboten würde ich auch das in Frage stellen, da z.B. schlafzuwandeln oder sich für hochbegabt zu halten, keine hochsensiblen Eigenarten sind.

 

Ein verlässlicher Test entspricht folgenden Gütekriterien.

 

Sie sollen objektiv sein (also unabhängig vom Anwender und der Situation sein), reliabel (also bei wiederholter Messung immer wieder das gleiche Ergebnis bringen) und valide (das heißt, sie sollen das messen, was sie zu messen vorgeben). So trivial das klingt, so schwierig und zeitintensiv ist es gleichzeitig, das sicherzustellen.

 

Nehmen Sie einen Meterstab, der erfüllt im Allgemeinen diese Kriterien. Er misst objektiv, wiederholbar, die Länge eines Gegenstands. Objektivität ist gegeben, wenn jeder Anwender in jeder Situation das gleiche Ergebnis bekommt und es z.B. nicht auf den Anlass, den Ort der Messung oder die Interpretation des Anwenders ankommt.

Wenn Sie ein textiles Maßband verwenden, kann es sein, dass es immer mal wieder andere Ergebnisse liefert, wenn es sich zum Beispiel in der Wärme ausdehnt. Und wenn es sich - hypothetisch - nur an einem Ende dehnt, dann bekommen Sie unterschiedliche Egebnisse, in Abhängigkeit des Bereichs, mit dem Sie messen. Dieses Maßband ist dann nicht reliabel – verlässlich.

 

Es kann auch sein, dass Sie als Ergebnis etwas anderes herausbekommen, als das, was sie eigentlich wollten. Um die Bevölkerungsdichte in Bayern zu ermitteln, ermittele ich die Daten von München und Nürnberg, von Würzburg und Augsburg und von Hintertupfing, meinem Heimatort. Summiere die Angaben auf und teile durch 5, richtig? Nein? Dann nehme ich doch noch Regensburg, Rosenheim und Ulm und Stuttgart mit dazu. Jetzt? Oh, ach so, Stuttgart liegt zwar im Süden, aber nicht in Bayern. So genau weiß das doch keiner. Und wie ist das mit Ulm? Und warum lässt sich dann die Einwohnerzahl von Hinterhofen so schlecht vorhersagen, wo ich jetzt extra noch mehr Messwerte dazu genommen haben, damit das Ergebnis besser wird? Nicht repräsentativ sagen Sie, aha. Nicht überall gemessen, zu oft das Gleiche gemessen. Ok, ja wie denn dann?

 

Schwierigkeiten bei den Angebotenen Tests zur Hochsensibilität

 

Es gäbe dazu noch viel mehr zu sagen, das Beispiel soll jedoch genügen. Klar ist, wenn man zu einseitige und nur augenscheinlich für das zu messende Konstrukt relevante Fragen stellt (z.B. nach der Fußlänge, wenn man auf die Körpergröße schließen will), dann wird es nicht dadurch besser, dass man mehr davon nimmt. Für die Hochsensibilität gilt beispielsweise, dass die Aussage "Ich fühle mich von Ärzten unverstanden" zwar auf einige Hochsensible zutrifft, aber eben auch auf viele andere Personen.

 

Die Tatsache, dass man auf vielerlei Weise immer wieder nach dem Gleichen fragt und die Summen addiert, wie "Ich bin ungern an Orten mit Hektik und großer Lautstärke", "Ich reagiere empfindlich auf laute Geräusche" und "Ich habe oft das Bedürfnis mich zurückzuziehen, um alleine zu sein?" verbessert das Ergebnis nicht, es verfälscht es. Ebenso wie wenn Wesentliches, das zum Konstrukt gehört, nicht erfasst wird.

 

Als Diplom-Psychologin, die im Studium über die anspruchsvollen Gipfel der Testtheorie geklettert ist, sträuben sich mir die Haare über das Brigitte-Test-Niveau der vielfach im Internet und in Büchern angebotenen Tests. (Nichts gegen Brigitte-Test, die haben allerdings auch nicht den Anspruch, Aussagen über lebensbestimmende Persönlichkeitsdimensionen zu machen.) Aber es ist kein Wunder: Die Nachfrage ist groß und Testkonstruktion ist ein sehr aufwendiger und statistisch anspruchsvoller Prozess, der sich nicht darauf beschränkt, augenfällige Fragen zusammenzustellen. Die Auswahl und Kombination der relevanten Items (Fragen), die zu sinnvollen Ergebnissen führen, nimmt oft Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch. Dr. Sandra Konrad hat dazu nicht ohne Grund eine Forschungsarbeit an der Universität der Bundeswehr in Hamburg aufgesetzt, da es nicht genügt, ein paar einschlägige Fragen mit Punktwerten zu versehen, um herauszufinden, ob und gar noch in welchem Grad (!) jemand hochsensibel ist.

 

Tests zur Hochsensibilität mit wissenschaflichem Anspruch

Die Ergebnisse von Dr. Sandra Konrad sind hier veröffentlicht, sind aber nicht für jedermann als "Internet-Test" zugänglich.

 

Zeitgleich hat sich – aus einer anderen Motivation heraus - der Diplom-Psychologe Dr. Guido Gebauer daran gemacht, einen, an wissenschaftlichen Gütekriterien ausgerichteten Test zur Hochsensibilität zu konstruieren. Meiner Einschätzung nach das Beste, was es aktuell zu diesem Thema an frei zugänglichen diagnostischen Verfahren gibt. Er hat seine Vorgehensweise hier ausführlich und transparent und für jeden Interessierten nachvollziehbar beschrieben, sodass jeder, der sich mit Testkonstruktion auskennt, sich ein eigenes Urteil dazu bilden kann.

 

Mit Zustimmung von Guido Gebauer verlinke ich hier zum seinem TEST ZUR HOCHSENSIBILITÄT.

 

TESTS und die Akzeptanz des Phänomens Hochsensibilität

Die üblichen "Tests", mit denen jeder, der es möchte, den Stempel "hochsensibel" erhalten kann, sind meines Erachtens riskant für die Akzeptanz der Hochsensibilität in der Öffentlichkeit und auch für die Anwender, die daraus unter Umständen falsche Schlüsse für sich ziehen. Kritiker des Konzepts der Hochsensibilität setzen genau da an, wenn sie deutlich machen wollen, dass es sich lediglich um einen Hype handelt, wie gerade wieder ein Münchner Psychiater in der Zeitschrift "Neurotransmitter" ausgeführt hat. Die Nachfrage nach solchen Tests ist riesig. Wenn wir aber erreichen wollen, dass die Mediziner, Therapeuten und andere Vertreter deren Akzeptanz von Bedeutung ist, uns ernst nehmen, dann müssen auch wir mit seriösen Mitteln nachweisen, dass es Hochsensibilität als Persönlichkeitsdimension gibt und das kann eben auch ein bisschen dauern. Forschung ist nun mal aufwändig.